Fotografieren hat etwas Meditatives an sich. Dies gilt ganz besonders für die Fotografie auf der Straße, da durch die vielen Ablenkungen im Gewirr des Alltags eine besondere Form der Konzentration notwendig ist.
Zen als Geisteshaltung für das Hier und Jetzt kann eine solche Einstellung vermitteln, um in eine Fokussierung und trotzdem Gelassenheit beim Fotografieren zu gelangen.
Mein Verständnis von Zen
Zen ist eine Ausprägung des Buddhismus, wie er heute vorwiegend in Japan gelebt wird.
Aufgrund diverser New-Age-Strömungen in den 60er Jahren und danach wird „Zen“ oft in unserer westlichen Welt mit Formenreduktion oder einer Art Minimalismus gleichgesetzt, wie zum Beispiel in Zen-Gärten.
Dies entspricht nur teilweise meinem Verständnis von Zen.
Zen ist für mich eine Geisteshaltung. Eine Form der inneren Bewusstwerdung des Hier und Jetzt mittels Konzentration und Kontemplation. Wer mit dieser Geisteshaltung durch das Leben schreitet, erkennt im Weg das Ziel. Es ist die Verschmelzung des Ganz-bei-sich-seins mit der allumfassenden Umwelt.
Durch die meditativen Bestandteile in Form des Zazen wird der Geist geschult, achtsam und fokussiert zu bleiben.
Genau diese Geisteshaltung hilft beim Fotografieren im urbanen Umfeld.
Zen beim Fotografieren
Um zu vermitteln, was beim Fotografieren vor sich geht, möchte ich an dieser Stelle die Analogie zum Jagen verwenden. Interessanterweise wird im Englischen hier auch gerne die Redewendung „to shoot a photo“ verwendet. Nicht anderes macht der Fotograf auch: Er erlegt zwar kein Tier, dafür jagt er Momente.
Ein interessantes Buch, dass diesen Zusammenhang zwischen „Schießen“ und Zen umschreibt ist von Eugen Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens.1
Daraus ein paar Zitate:
Sie verweilten diesmal völlig selbstvergessen und absichtslos in höchster Spannung; da fiel der Schuss von Ihnen ab wie eine reife Frucht.2
Um nun die höchste Spannung dieser geistigen Wachheit zu entfesseln, müssen Sie die Zeremonie anders durchführen als bisher: So etwa, wie ein rechter Tänzer tanzt. Wenn Sie dies tun, entspringen die Bewegungen Ihrer Gliedmaßen jener Mitte, in welcher die rechte Atmung geschieht.3
Bin ich es, der den Bogen spannt, oder ist es der Bogen, der mich in höchste Spannung zieht? Bin ich es, der das Ziel trifft, oder trifft das Ziel mich? Ist das ›Es‹ in den Augen des Körpers geistig und in den Augen des Geistes körperlich – ist es beides oder keines von beiden? Dies alles: Bogen, Pfeil, Ziel und Ich verschlingen sich ineinander, dass ich sie nicht mehr trennen kann. Und selbst das Bedürfnis, zu trennen, ist verschwunden.4
Und? Haben Sie, lieber Leser, sich in diesen Sätzen wiedererkannt?
Es gab Tage, in denen ich mir meine In-Ear-Kopfhörer eingesteckt hatte und dann bei Musik durch die Menschen getanzt bin. Einem Ballett gleich ausweichend und schlängelnd durch die Massen geflossen bin und, ohne zu fokussieren, Fotos geschossen hatte, während ich darauf vertraute, dass der Autofokus der Kamera es richten wird.
Es gab andere Tage, in denen ich wie im Rausch, in höchster Versenkung, einer Maschine gleich, die Kamera zum Kopf bewegt und instinktiv abgedrückt hatte, ohne wirklich bewusst wahrzunehmen, was ich gerade fotografiere.
Es war auch nicht wichtig.
Es war der Akt des Fotografierens, das Eins-Werden mit der Kamera, das mich Handeln ließ und die Entscheidungen traf. Es war nicht ICH, der Fotos schoß; es war ES, das mich Spannung und Abdrücken aus meinem Unterbewusstsein folgen ließ.
Der Weg des Fotografierens war das Ziel, nicht das Foto selbst.
Atemtechnik als meditatives Element
Einen wesentlichen Aspekt des Zen ist die Meditation. In der Meditation ist das richtige Atmen essenziell.
Durch die Verlangsamung der Atmung hin zu einem ruhigeren Rhythmus und das Gewahrsein dieser Atmung durch Konzentration, kehrt Ruhe in das Denken ein. Dieses Denken ermöglicht die Fokussierung auf das fotografische Motiv. In der Straßenfotografie von besonderer Bedeutung, denn die Momente sind schnelllebig. Es bleibt keine Zeit für Entscheidungen, sondern der Geist muss so klar und fokussiert sein, dass er reflexartig ein Programm abspulen kann, wenn der „Befehl“ zum Auslösen erfolgt.
Dieses ruhige Atmen kann trainiert werden. Sowohl in eigenen Meditationsübungen, als auch durch die meditativen Aspekte des Laufens durch die Straßen selbst.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass eine Atemfrequenz von 4 Sekunden Einatmung und 6 Sekunden Ausatmung zu einer erhöhten inneren Ruhe führen.5 Einfach mal ausprobieren.
Zen in der Fotogestaltung
Wie oben ausgeführt, ist die Formenreduktion als Methode des Minimalismus nicht mein primäres Verständnis von Zen.
Vielmehr ist die Reduktion im Foto ein „Abfallprodukt“ eines bewussten Handelns im Sinne des Zen. Wer den Weg des Zen geht und dabei im Hier und Jetzt ist, wird sich nicht ablenken lassen, sondern sich auf das Wesentliche fokussieren.
Dadurch wirkt auch in vielen Kontexten das Foto als Ergebnis reduziert.
Verstärkt werden kann dies in der Nachbearbeitung.
Manchmal, so geht es zumindest mir, gerate ich auch bei der Nachbearbeitung sehr vieler Fotos in eine Art meditativen Flow-Zustand, der dem des oben Beschriebenen ähnelt. Zu viele Informationen werden auf Dauer als störend wahrgenommen und ich selbst habe mich manchmal dabei ertappt, wie ich zum Ende der Bearbeitungssession hin stärkere Scharz-Weiß-Kontraste setze und unerwünschte Bildinformationen herausfiltere.
Diese so entstandenen Fotos wirken reduzierter, minimalistischer.
Zusammenfassung
Die meditativen Elemente des Zen können durch ihre fokussierende Geisteshaltung dabei helfen, bessere Fotos zu schießen.
Die richtige Atmung spielt dabei eine wichtige Rolle.
Eine Reduktion von Bildelementen ist dann eher Folge des fokussierten Vorgehens beim Akt des Fotografierens.